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„Wir können uns ins Gleichgewicht bringen“

Die Psychologin Doris Wolf erläutert, mit welchen Techniken man inneren Frieden finden kann

Von Nils Sandrisser

GettyImages / franz12Friede im Inneren ist manchmal gar nicht leicht zu erreichen.

Mal ärgert man sich über andere Menschen, mal über sich selbst. Anlässe zum Ärger gibt es genug. Nils Sandrisser sprach mit der Diplom-Psychologin Doris Wolf über Tipps, wie man aus der Dauerschleife von Vorwürfen herauskommt.

Frau Wolf, worin können Ursachen dafür liegen, warum wir aus dem Gleichgewicht kommen und mit uns selbst hadern? Gibt es dafür innere und äußere Ursachen?

Doris Wolf: Letztendlich zählen alle Ursachen, wenn wir genauer schauen, zu den inneren Ursachen, denn wir bewerten alles, was auf uns einströmt, was wir im Außen tun und was andere tun. Zu den äußeren Ursachen könnte man, wenn man die Trennung zwischen inneren und äußeren Ursachen machen will, alles zählen, was andere tun oder getan haben. Aus dem Gleichgewicht geraten wir beispielsweise, wenn wir unserem Gegenüber vorwerfen, uns unfair zu behandeln, wenn wir unsere Eltern oder nahen Bezugspersonen verurteilen, uns zu wenig Liebe, Zuwendung gegeben oder uns zu streng erzogen zu haben, wenn wir glauben, etwas nicht verdient zu haben oder vom Schicksal zu stark geprüft zu werden, etwa bei Trennung, Todesfall oder chronischer Erkrankung, und wenn wir uns von anderen benachteiligt, bevormundet, missachtet, verletzt oder überfordert sehen. Kurzum: Wenn wir uns von etwas außerhalb von uns bedroht fühlen. Wir haben die Grundeinstellung „Andere müssen oder das Schicksal muss so sein, wie wir es uns vorstellen“.

Und gibt es Ursachen, die tatsächlich nur in einem selbst liegen?

In inneren Unfrieden geraten wir zum Beispiel, wenn wir uns wegen eines Missgeschicks oder Fehlers ärgern, wenn wir uns für ein Fehlverhalten schuldig fühlen oder dafür schämen oder wenn wir uns abgelehnt fühlen und uns die Schuld dafür geben. Unsere Grundeinstellungen uns selbst gegenüber sind die Hauptursachen für unser seelisches Ungleichgewicht. Sie sorgen für Unsicherheit, Unzufriedenheit und Unglücklichsein.

Wie lauten diese Grundeinstellungen?

„Ich bin nicht in Ordnung, wie ich bin“ zum Beispiel. Oder „Ich muss perfekt sein, sonst werde ich abgelehnt. Ich darf keine Fehler machen.“ „Ich bin hilflos, kann nicht mit dem umgehen, was auf mich zukommt.“ „Ich kann mich nur lieben, wenn ich alles richtig mache.“ „Das Leben ist ein gefährlicher Ort und ich muss immer auf der Hut sein.“ Oder „Das Leben ist ungerecht und ich bin Verlierer.“ Die Folgen sind dann Selbstzweifel, Ängste, Sorgen, innerer Druck, Schuldgefühle, Ärger auf sich selbst, Neid, Einsamkeit, Verbitterung und Verzweiflung.

Wie kann man äußere Ursachen von jenen unterscheiden, die nur in uns selbst liegen? Das ist ja manchmal nicht unbedingt leicht.

Ich halte es nicht für entscheidend, diese Unterscheidung zu treffen. Viel wichtiger ist es, herauszufinden, wie man seinen inneren Frieden stört. Dies geschieht durch unsere Bewertungen. Hierzu ein Beispiel. Ich nutze hierzu das ABC Modell der Gefühle aus der Kognitiven Verhaltenstherapie: A bezeichnet, was tatsächlich passiert: Ich mache einen Fehler. B ist, wie ich das bewerte, was passiert. Etwa wenn ich sage: „Wie konnte ich mich nur so dämlich verhalten? Das hätte mir nicht passieren dürfen. Ich bin ein Dummkopf.“ C beschreibt, wie ich mich infolge meiner Bewertung fühle, körperlich reagiere und verhalte. Also etwa: „Ich bin ärgerlich auf mich, bin angespannt, kann mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren und unterbreche meine Arbeit.“

Sind unsere Bewertungen im Bereich B anders, wenn wir uns über andere Menschen ärgern anstatt über uns selbst?

Ärgern wir uns über andere Menschen, dann lautet unsere Bewertung zum Beispiel: „So darf er nicht mit mir umgehen. Das ist unfair, gemein, rücksichtlos.“ Fühlen wir uns durch das Verhalten eines anderen gekränkt, dann weil wir beispielsweise denken: „Er lehnt mich ab, macht mich klein, nimmt mich nicht für voll. Dies bedeutet, ich bin unwichtig, minderwertig.“ Negative Bewertungen bringen uns immer auch zu negativen Gefühlen und damit zu innerem Unfrieden.

Was hält uns oft davon ab, inneren Frieden zu finden?

Auch hier müssen wir uns wieder unsere Bewertungen und Grundeinstellungen betrachten. Haben wir negative Gefühle, weil wir das Verhalten eines anderen als negativ bewerten, dann sind wir etwa der Meinung: „Das kann ich ihm nicht verzeihen“ oder „Er muss spüren, dass er sich mit gegenüber ungerecht verhalten hat“ oder „Wenn ich nicht ärgerlich bin, dann merkt er nicht, wie sehr er mich verletzt hat“ oder „Ich muss mich ärgerlich fühlen und habe keine Kontrolle über meine Gefühle.“

Und wenn wir unseren inneren Unfrieden ganz allein erzeugen?

Dann können uns zum Beispiel folgende inneren Grundhaltungen daran hindern, uns mit uns zu versöhnen: „Das kann ich mir nicht verzeihen.“ „Ich kann mich nur verbessern, wenn ich mich streng beurteile und verurteile.“ „Das passiert einfach. Über meine Gefühle habe ich keine Kontrolle.“ „Ich habe nicht verdient, dass es mir gutgeht.“ „Ich bin einfach unfähig, nicht liebenswert, nicht in Ordnung.“

Doris Wolf"Ob innere oder äußere Ursachen unseren inneren Frieden stören, sei gar nicht entscheidend", sagt Doris Wolf

Gibt es Tipps und Tricks, die dabei helfen, mit sich ins Reine zu kommen?

Ja, natürlich. Ebenso wie ins Ungleichgewicht können wir uns auch wieder ins Gleichgewicht bringen. Das geht natürlich nicht auf Knopfdruck, sondern in kleinen Schritten. Manchmal benötigen wir dazu auch einen längeren Zeitraum. Der erste Schritt besteht zunächst einmal darin, herauszufinden, welche negativen Gedanken uns unsere Gelassenheit rauben. Wir können dazu das oben aufgeführte ABC der Gefühle nutzen. Dann müssen wir uns neue hilfreiche Gedanken machen.

Wie sähen diese hilfreichen Gedanken aus?

  1. Lass deine Wut los. Wenn du dir im Innern immer wieder die Handlung beziehungsweise die Worte vor Augen führst, mit denen du von einer anderen Person verletzt wurdest, dann gießt du immer wieder Öl ins Feuer. Sage dir: „Ich bin bereit, das Feuer jetzt ausgehen zu lassen.“ Stell dir vor, wie das Feuer langsam verglimmt und wie aus der Asche neue Samen sprießen.
  2. Begegne dir mit Liebe und Güte. Verzeihe dir deine Fehlentscheidungen und Schwächen aus der Vergangenheit. Erinnere dich daran: „Ich habe das getan, was mir zu diesem Zeitpunkt möglich war.“ Wenn du glaubst, noch in der Schuld zu sein, dann überlege dir, was du jetzt zur Wiedergutmachung tun kannst.
  3. Akzeptiere, was das Leben dir anbietet. Das Leben stellt dir auf deinem Lebensweg so manche Hürde auf. Wenn du die Hürde nicht überwinden kannst, dann entscheide dich, einen Weg um sie herum zu suchen. Kooperiere mit dem Leben, statt gegen es anzukämpfen.
  4. Lebe in der Gegenwart. Wenn du darüber nachgrübelst, was dir alles Schlimmes passieren könnte, dann raubst du dir die Energie, im Hier und jetzt zu leben. Wenn du ganz bewusst im Augenblick lebst, dann kann keine Angst entstehen.
  5. Konzentriere dich auf das Liebenswerte und Positive. Deine Gefühle entstehen durch deine Gedanken. Lenke sie bewusst auf das, was dir gefällt und gut tut. Dann wirst du ein Gefühl der Dankbarkeit verspüren.
  6. Gib deinem Leben einen Sinn. Du hast die Freiheit, dir selbst eine Aufgabe zu wählen, die dich erfüllt. Überlege dir beispielsweise, was du hinterlassen möchtest, wenn du stirbst. Welchen Einfluss möchtest du auf andere Menschen gehabt haben? Was willst du an Liebe, an Unterstützung gegeben haben?
  7. Denke an einen Menschen, von dem du dich geliebt fühlst. Dann male dir aus, dass du ihm gegenüberstehst und mit jeder Zelle deines Körpers deine Liebe zu ihm ausstrahlst. Indem du die Liebe zu ihm wachrufst, spürst du die Liebe auch in dir.

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Buchtipp

Doris Wolf und Rolf Merkle
„Gefühle verstehen, Probleme bewältigen; eine Gebrauchsanleitung für Gefühle“
aktualisierte Auflage 2019
PAL Verlag, 182 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978–3–923614–18–9

PAL Verlag
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